DIE KÜRZESTE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT

von Jürgen Kaizik
nach Richard Wagner

am
1. August, 9. August und 23. August

Beginn: 18 Uhr

Ein Mythos ist, einfach gesagt, eine Erzählung, die aus der Vergangenheit stammt und die Zukunft bestimmen kann. Wer sie als Erster erzählt hat, lässt sich nicht sagen. So ist zum Beispiel der Mythos des unglücklichen König Ödipus vor etwa 2500 Jahren von Sophokles aufgeschrieben worden, war aber schon zu seinen Lebzeiten unbestimmten Alters. Von Generation zu Generation weitergegeben, gehört der Mythos eigentlich dem Volk, in dem er zuerst aufgetaucht ist. Im Dasein eines jeden Mythos gibt es jedoch einige kritische Phasen. Die dunkelste und geheimnisvollste ist die erste. Sie dauert zugleich am längsten. Es ist die Phase seiner Entstehung. Einer der wichtigsten Mythenforscher unserer Zeit, der Franzose Claude Lévi-Strauss, hat behauptet, Mythen seien Erzählungen aus jener Zeit, als die Menschen noch die Sprache der Tiere verstanden. Das heißt aber nichts Anderes, als dass diese Mythen Erinnerungen jener Wesen sein müssen, die nicht mehr ganz Tier aber auch noch nicht ganz Mensch waren. Damals fing das natürliche Leben an problematisch zu werden. Der Mythos erzählt uns also, in poetischer Form, worin diese Probleme eigentlich bestanden, und wodurch sie bestenfalls zu lösen wären. Damit beginnt die zweite kritische Phase, die bis in unsere Gegenwart hinein dauert: Wo es ein Problem gibt, muss es auch eine Lösung geben, diese aber hängt vom Standpunkt des Rätsellösers, oder der Löserin ab, von seinen, ihren Bedürfnissen und Talenten, Interessen und Begierden. Im schlimmsten Fall gibt es so viele Lösungen wie es Menschen gibt. Daraus entstehen Kriege. Zuerst jeder gegen jeden und später alle gegen alle. Diese Kriege dauern an, bis sich die Stärksten und Gerissesten durchsetzen, diese sind es dann auch, welche die Auslegung der Mythen in ihrem Sinn bestimmen. So werden die herrschenden Mythen zu den Mythen der Herrschenden. Eines der berüchtigtsten Beispiele dafür war der „Mythos des 20. Jahrhunderts“.  Dieser lieferte den Nazis die Argumente für ihre künftigen Verbrechen, und behauptete zugleich, diese stammten aus alter, uralter Zeit, und wären schon daher über jeden Zweifel erhaben. So kann der Mythos ein gefährliches Janusgesicht besitzen: Seine mitreißendsten Lösungen können zu Wegweisern ins Verderben werden. Die Würde seines Alters taugt zum Deckmantel eines alles beherrschenden Machthungers.  Wagners Mythos der Nibelungen ist deshalb eine vielschichtige Erzählung, des Scheiterns, indem er beide Möglichkeiten des Mythos gegeneinander ausspielt.  Wotans Utopie einer humanen Religion führt zur finalen Götterdämmerung und die Hoffnung auf den erlösenden Übermenschen Siegfried zur Absage jener menschlichen Werte, welche die Freiheit und die Freiheit des Menschen erst möglich machen können.